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von Michael G. Kraft[*]

Was hat eine Digitalisierung unter kapitalistischen Vorzeichen für eine gesellschaftliche Emanzipation wirklich zu bieten?

Kaum ein Thema hat über die letzten Jahre im öffentlichen Diskurs dermaßen an Fahrt aufgenommen wie jenes der Digitalisierung. Was noch vor wenigen Jahren von wirtschaftspolitischen Think Tanks und Managementberatungsfirmen wie McKinsey oder Roland Berger unter dem Stichwort Industrie 4.0 als neues Narrativ lanciert wurde, ist heute im Mainstream der Gesellschaft angekommen und wird teils kontroversiell diskutiert.

Wenngleich die Unausweichlichkeit von vielen geteilt wird, so sind mögliche gesellschaftspolitische Auswirkungen und die Angst vor massenhaften Arbeitsplatzverlust Gegenstand hitziger Kontroversen. Tatsächlich sind Umfang und Zielsetzung des Digitalisierungsdiskurses oftmals unklar und diffus, da das Thema im weitesten Sinne nahezu alle Lebensbereiche und soziale Beziehungen betrifft und damit wiederum inhaltlich leer wird und zur Schablone verkommt.

Waren die ersten Studien hauptsächlich mit der technologischen Entwicklung, der Digitalisierung und Vernetzung der Produktion sowie dem Internet der Dinge befasst, so ist in der letzten Zeit eine Verschiebung des Diskurses hin zu den Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Beschäftigung und soziale Sicherungsnetze zu beobachten. Selbst Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, wie der Silicon Valley Unternehmer und Buchautor Martin Ford in seinem Buch The Rise of the Robots: Technology and the Threat of a Jobless Future fordert, werden heute breiter diskutiert. Aber kann die Digitalisierung unter kapitalistischen Vorzeichen derart gestaltet werden, dass sie auch wirklich einen Beitrag zur gesellschaftlichen Emanzipation und Wohlstand für alle leistet?

Auf der Suche nach der verlorenen Produktivität

Es lohnt sich das Narrativ der Digitalisierung in Zusammenhang mit einer fundamentalen Krise unseres Wirtschaftssystems und dessen teleologischer Wachstumsorientierung zu lesen. Der Soziologe Klaus Dörre weist darauf hin, dass mit der schwerwiegenden Krise des neoliberalen Projekts, welches spätestens mit der Weltwirtschaftskrise 2007-8 einige Kratzer und Schrammen abbekommen hatte, es für die herrschenden Eliten Zeit wurde, ein neues Narrativ zu formen, das Wohlstand und Fortschritt im 21. Jahrhundert propagiert.

Die digitale Evolution, die ja nunmehr schon seit einigen Jahrzehnten mit der Verbreitung des Personal Computers und der Erfindung des Internets unsere sozialen Beziehungen und Arbeitsformen verändert hatte, wurde rasch zu einer Digitalen Revolution oder Transformation umgebaut und ein neues “Maschinenzeitalter” eingeläutet. Liest man die Studien internationaler Think Tanks und Consulting Unternehmen, so wird der Eindruck vermittelt, dass in unserem Gesellschaftssystem kein Stein auf dem anderen bleiben würde und das Monstrum der Digitalisierung gnadenlos über jene hinwegwalzen werde, die sich nicht anpassen: seien es Regierungen, welche die “notwendigen” Strukturreformen nicht umsetzen, oder Individuen, die sich nicht weiterbilden, umschulen und in ihr Humankapital investieren, um am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Und dass diese spezifische kapitalistische Form der Digitalisierung nunmehr als unausweichlich empfunden wird, zeigt, dass sich Technologie sehr gut für ein solches Narrativ eignet – denn wer kann sich schon gegen den technologischen Fortschritt wenden, so wir alle von dessen Früchten profitieren werden? Und wer soll ihn aufhalten können?

Zumindest konstatieren internationale Organisationen wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass das neue Maschinenzeitalter mit ungeheuren Möglichkeiten aber auch einem gewissen Bedrohungspotential (z.B. Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung) aufwarte. Als eine der größten globalen Herausforderungen sei, so die OECD, das anhaltend schwache Wirtschaftswachstum in Verbindung mit immer steigender Ungleichheit zu nennen. Doch anstatt sich Ursachen und Politikmaßnahmen zur Eindämmung der steigenden Ungleichheit genauer anzusehen, wird rasch in den sinkenden Produktivitätsraten die Gefährdung “unseres” langfristigen Lebensstandards und Wohlbefindens gesucht. Genau an dieser Stelle schlägt die Funktionslogik dieses geschickt platzierten Narratives ein: nicht die Nachfrage- oder Verteilungsdiskussion gelte es zu führen, nein, alles dreht sich wieder um Investitionen in “knowledge based capital”, bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen und eine Flexibilisierung der Arbeitswelt.

Machtakkumulation und prekarisierte Subjekte

Betrachtet man die geballte Machtkonzentration der globalen IT-Konzerne, so verspüren selbst VertreterInnen internationaler Think Tanks und Advokaten des Digitalisierungsnarrativs ein gewisses Unbehagen. Möglich wurde dies u.a. durch fehlende Regulierung, politische Kurzsichtigkeit und einen massiven Lobbyismus von Seiten der Industrie.

Quelle: Economist, 17. September 2016, http://www.economist.com/news/special-report/21707048-small-group-giant-companiessome-old-some-neware-once-again-dominating-global?frsc=dg%7Ca

Obenstehende Grafik verdeutlicht den massiven Strukturwandel und die damit einhergehende ökonomische Machtakkumulation. Dabei muss selbst für marktliberale ÖkonomInnen besorgniserregend sein, dass auch der traditionelle trickle-down-Effekt nicht mehr in Takt ist, die technologische Diffusion von den front-runner Unternehmen zu den followern also nicht mehr funktioniert und wir mehr und mehr auf „winner-takes-all“ Situationen zusteuern, in der nur noch ganz wenige Konzerne Marktdominanz ausüben. Forschungen der OECD zeigen, dass seit den 2000er Jahren trotz bahnbrechender technologischer Entwicklungen, insbesondere der digitalen Technologien, die Produktivitätseffekte nur gering und selbige auch stark ungleich verteilt sind (zwischen Unternehmen als auch zwischen Regionen). Diese Entwicklungen haben ebenfalls zu einer Verschärfung der Ungleichheiten beigetragen.

Dazu kommt, dass die neuen Superstar-Unternehmen auch die entsprechenden Adaptierungen bei ihrer Belegschaft vornehmen. Das Business Modell der Plattform- und “Sharing”-Economy bedeutet Prekarisierung, i.e. nur ein kleiner Stamm an unselbstständigen, gut bezahlten MitarbeiterInnen verbleiben in den Unternehmen, der Rest wird mittels crowdsourcing nach Bedarf hinzugezogen – ohne soziale Absicherung und stabile Arbeits- und Lebensverhältnisse. Ein seit den 1990er-Jahren zunehmender Prozess, in der ein gut gebildetes Prekariat an globalen WissensarbeiterInnen eine wichtige Funktion im globalen Kapitalakkumulationsprozess einnimmt (vgl. Standing 2015). Wenngleich die Studie von Frey und Osborne (2013) zu den Jobverlusten durch die zunehmende Automatisierung für große Aufregung sorgte (47% der Beschäftigten in den USA seien in Berufen tätig, die “in Zukunft” (d.h. ohne näher bestimmten Zeitrahmen) mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert werden), so scheint die Zahl doch etwas überzogen, da sie die andauernde Adaptierung der Tätigkeitsprofile nicht berücksichtigt.

Was uns allerdings mehr Anlass zu Sorge geben sollte, ist die mit der Digitalisierung einhergehende weitere Verschiebung der Wertschöpfung und Machtverhältnisse von Arbeit zum mobilen Faktor Kapital. Dies würde zwar grundsätzlich die Vision einer lohnarbeitsreduzierten oder gar lohnarbeitsfreien Gesellschaft greifbar erscheinen lassen, doch die globalen Machtverhältnisse deuten wohl eher auf eine zunehmende Polarisierung im Hinblick auf die Verteilung der Digitalisierungsrenten hin.

Ist eine demokratische Gestaltung der digitalen Transformation möglich?

Die von manchen Kommentatoren hochgelobte Null-Grenzkosten-Revolution (vgl. Mason 2016) und der Übergang in ein System des Postkapitalismus, das uns das Internet und die digitale Vernetzung ermöglichen sollen, sind letztlich vollkommen in der kapitalistischen Verwertungslogik angekommen. Mitfahrbörsen und Schlafplätze werden heute unter dem Schlagwort der “Sharing”-Ökonomie in das formale Marktsystem übergeführt, was einerseits das Bruttoinlandsprodukt erhöht und andererseits einer kleinen Anzahl an (Internet-)Platformen wie uber und Airbnb ungeheure Renten aufgrund der Netzwerkeffekte erlaubt.

Zwar nimmt gleichzeitig der Rechtfertigungsdruck aufgrund steigender Ungleichheiten und der steuerschonenden Geschäftspraktiken dieser Unternehmen zu, doch ist damit keineswegs eine fundamentale Verbesserung und die Möglichkeit einer fairen Wirtschaft und Gesellschaft in Sicht. Wenn selbst Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen die grundsätzliche Unausweichlichkeit dieser digitalen Transformation akzeptieren, um im internationalen Standortwettbewerb fit zu bleiben, oder mittels großer technologischer Entwürfe fit zu werden, so verdeutlicht das, dass sie dadurch nur selbst in einen imaginierten Wettbewerb mit Lohndruck und Sozialleistungskürzungen gefangen sind. Denn eine Politik, die nur Teilaspekte der Digitalisierung als grundsätzlich gestaltungsfähig und verhandelbar ansieht und Innovation in Vernüpfung mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu ihrem Dogma erhebt, wird bestenfalls die schlimmsten Verschlechterungen für die Masse der Bevölkerung abwenden können (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2015).

Die fehlende Demokratisierung unseres Wirtschaftssystems erscheint unter den Vorzeichen der Digitalisierung und der damit einhergehenden Machtakkumulation bei privaten Konzernen, die keinerlei demokratischer Kontrolle oder Rechenschaftspflicht unterliegen und massenweise (private) Daten akkumulieren, umso besorgniserregender. Sie könnte allerdings auch Anlass sein, diese notwendigen gesellschaftlichen Diskussionen zu führen und entgegen den Rufen nach einem starken Mann das um die soziale Frage verkürzte Projekt der Aufklärung zu Ende zu bringen. Dazu bedürfte es der kollektiven Arbeit an einem modernen, auf Solidarität basierenden Gesellschaftsmodell, das auf allen Ebenen mehr Beteiligung und Selbstverwaltung der BürgerInnen ermöglicht und auch nicht davor zurückschreckt, die Frage nach dem Eigentum und der Kontrolle der Produktionsmittel zu stellen – kleinteilige Beispiele und soziale Kämpfe, von deren Erfolgen und Niederlagen man lernen könnte, gäbe es durchaus zu Genüge im Dunstkreis der partizipatorischen Ökonomie und der kollektiven Verwaltung der Commons.

Literatur

Azzellini, Dario und Michael G. Kraft (Hg.) erscheint 2017: The Class Strikes Back – Self-Organised Workers’ Struggles in the Twenty-First Century, Brill: Leiden

Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2015: Arbeit weiter denken: Grünbuch Arbeiten 4.0, Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Berlin.

Ford, Martin 2015: The Rise of the Robots: Technology and the Threat of a Jobless Future, Basic Books: New York.

Frey, Carl und Michael Osborne 2013: The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerization?, University of Oxford.

Mason, Paul 2016: Postkapitalismus: Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Suhrkamp: Berlin.

OECD 2017: The Next Production Revolution: Implications for Governments and Business, OECD Publishing: Paris.

Standing, Guy 2015: Prekariat: Die neue explosive Klasse, Unrast-Verlag: Münster.

[*] Der Artikel spiegelt die Privatmeinung des Autors wider.

Über den Autor

Michael G. Kraft
hat an einer OECD Economic Review mit dem Schwerpunkt Digitalisierung mitgearbeitet und ist neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit auch Universitätslektor zu den Themen Sozialen Bewegungen, gesellschaftliche Krisen und Transformationen an den Universitäten Linz und Salzburg. Sein nächstes Buch (gemeinsam mit D. Azzellini) The Class Strikes Back wird 2017 bei Brill (Leiden, NL) und Haymarket (Chicago, US) erscheinen.

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